Eine alte und wohl ein bisschen aus der Mode gekommene
Tradition soll vor dem Jahreswechsel wiederbelebt
werden. Es bietet sich geradezu an, die Sylvesterparty
an der Küste mit einem Traditionsangeln auf den
Sylvesterhecht zu verbinden.
Diese Traditionspflege tut auch Not, denn mein letzter
Sylvesterhecht liegt gut 17 Jahre zurück. Ganz
abgesehen von der Tatsache, dass damals mangels eines
seetüchtigen Bootes an einen Boddenhecht kaum
zu denken war.
Diese und ähnliche Gedanken gehen mir durch den
Kopf, als wir bei frischem Nord- West-Wind und Temperaturen
über dem Gefrierpunkt in See stechen. Der Wettergott
meint es wirklich gut mit uns, auch wenn die Kälte
durch die Gummihandschuhe zwickt, als wären sie
löchrig. Doch die Sonne verspricht einen "heißen"
Dezembertag.
Deshalb wohl verzichtet Wolfgang freiwillig auf Handschuhe,
während Ulli eher unfreiwillig die Pudelmütze
im Quartier ließ. Das gibt mir endlich einmal
die Gelegenheit in die gut ausgerüsteten Anglerkreise
aufzusteigen und mit einer als Schalersatz gedachten
Schlupfmütze auszuhelfen. Mit anderen Worten:
An unserer Ausrüstung kann es nicht liegen, dass
die Hechte im tiefen Wasser versagen und nicht einmal
zu einem Anbiss zu verleiten sind.
So ist es benahe logisch, dass Wolfgang auf die am
Vortag hinter vorgehaltener Hand diskutierte Option
auf Ostseedorsche zu sprechen kommt. Doch Rolf, unser
Kapitän, schneidet den Diskussionsfaden mit Verweis
auf die derzeit lediglich vereinzelt stehenden Fische
und die noch nicht erfüllte Windprognose ab.
Daraufhin herrscht konzentriertes Schweigen und Fischen
an Bord. Es gibt unter Männern nichts Beredteres
als sich bei gemeinsamem Tun nur durch Blicke und
Gesten zu verständigen. Da wirken selbst einzelne
Lautäußerungen wie "Mist, Kraut"
oder "fest", beinahe geschwätzig.
Wir arbeiten uns angelnderweise gegen den Frischwassereinstrom
aus der Ostsee die Fahrrinne Richtung Hiddensee hinauf,
ohne auch nur einen Fischkontakt zu bekommen. Logisch,
dass dabei keine Hitze aufkommt. Allerdings wärmt
die Sonne im Windschatten bereits durch die Handschuhe.
Das ist gut für die Angler, denn es macht Lust
den sturen Hechten auch mal einen anderen Köder
anzubieten. Doch dem T-Rex des Boddens scheinen Strömung
und frisches Salzwasser auf den Magen zu schlagen.
Wir wechseln aus dem tiefen Wasser der Fahrrinne ins
Flachwasser. Ganze zwei Meter Spielraum hat der Köder
zwischen krautigem Grund und Wasseroberfläche,
wenn überhaupt. Ein neues Ködergefühl
muss her, weil ansonsten der Gummifisch nur das Seegras
abweidet. Das ist leichter gesagt als getan, denn
der Wind hat zusätzlich ganze Krautinseln zusammengetrieben
und was da noch so rumschwebt, lässt einen schier
verzweifeln. So fliegen den Hechten nicht nur die
Köder, sondern auch die Krautbatzen um die Ohren.
Nur Rolf scheint das alles nicht weiter zu stören,
denn bereits mit dem zweiten Wurf an dieser Stelle
landet er einen strammen Hecht.
Jetzt ist der Hechtknoten geplatzt, freuen wir uns
und gehen mit neuem Elan ins Kraut. Während wir
uns mühen, legt Rolf einen 90-er Fisch nach und
innerhalb der nächsten Stunde einen weiteren.
Die Kunst scheint heute darin zu bestehen, die Fische
überhaut für den Köder zu interessieren.
Wenn sie dann interessiert sind, geht es allerdings
mit Brachialgewalt zur Sache.
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